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Neue EU-Regeln für staatliche Beihilfen im Verkehrssektor

Die Europäische Kommission hat eine öffentliche Konsultation über neue Vorschriften zur Regelung von staatlichen Beihilfen im Verkehrssektor eröffnet. Aus Schweizer Sicht ist diese Entwicklung von Bedeutung für die laufenden Verhandlungen mit der EU über die Stabilisierung und Fortsetzung des bilateralen Wegs. Sie berührt zudem zwei aktuelle Schweizer Gesetzgebungsvorlagen betreffend die Totalrevision des Schweizer Gütertransportgesetzes sowie die nachhaltige Finanzierung der SBB.

Gruppenfreistellung

Die von der Europäischen Kommission eröffnete Konsultation betrifft zunächst einen Vorschlag für eine neue beihilferechtliche Verordnung. Es handelt sich um eine Gruppenfreistellungsverordnung, die bestimmte Kategorien von staatlichen Beihilfen im Schienenverkehr, der Binnenschifffahrt sowie dem multimodalen Transport für vereinbar mit EU-Beihilferecht erklärt. Die staatlichen Massnahmen, die die in der Verordnung vorgesehenen Kriterien erfüllen, müssen nicht vorgängig bei der Kommission zur Genehmigung angemeldet werden.

Zu den Kategorien von staatlichen Beihilfen, die gruppenfreigestellt sind, gehören Betriebsbeihilfen zur Verringerung von externen Verkehrskosten, also Kosten, die durch den Verkehr verursacht werden, jedoch durch die Gesellschaft insgesamt getragen werden. Externe Verkehrskosten können namentlich durch Treibhausgasemissionen, eine Luftverschmutzung, Lärmemissionen oder Verkehrsüberlastungen verursacht werden, jedoch auch infolge von Schäden an Leib oder Leben. Zu den Kategorien von Beihilfemassnahmen, die gruppenfreigestellt sind, gehören weiter Beihilferegelungen und einzelfallweise («ad hoc») gewährte Investitionsbeihilfen für den Bau, Ausbau und die Erneuerung von multimodalen Transporteinrichtungen, sowie eine Reihe von weiteren, in der Verordnung aufgeführten, Kategorien von Beihilfemassnahmen.

Damit die Beihilferegelungen oder Einzelbeihilfen, die unter eine der Kategorien fallen, als vereinbar mit EU-Beihilferecht gelten, müssen sie zusätzliche Bedingungen erfüllen, die im Einzelnen in der Verordnung aufgeführt werden.

Leitlinien

Die Kommission hat weiter Leitlinien über staatliche Beihilfen für den Landverkehr und den multimodalen Verkehr vorgestellt. Diese erläutern die Kriterien, nach denen staatliche Beihilfemassnahmen beurteilt werden, die nicht gruppenfreigestellt sind. Betroffen sind Beihilfemassnahmen, die nicht unter eine von der Verordnung erfasste Kategorie fallen oder die in der Verordnung genannten, zusätzlichen Bedingungen nicht erfüllen.

Die neuen Leitlinien unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht von den bestehenden Eisenbahnleitlinien von 2008, die sie ersetzen sollen. Sie haben einen weiteren Geltungsbereich, weil sie nebst dem Schienenverkehr die Binnenschifffahrt und den multimodalen Verkehr betreffen. Sie decken somit alle Verkehrsträger ab, die im Vergleich zum herkömmlichen Strassenverkehr eine grössere Nachhaltigkeit versprechen. Im Bereich des Schienenverkehrs betreffen sie nicht nur Eisenbahnunternehmen, sondern auch andere, in diesem Sektor tätige Unternehmen, einschliesslich von Unternehmen auf der Nachfrageseite, wie etwa Logistikunternehmen, Spediteuren sowie multimodalen Transportunternehmen.

Bedeutung für die Verhandlungen Schweiz-EU

Die in die Konsultation gegebenen neuen Regeln sind aus schweizerischer Sicht von beträchtlichem Interesse. Die Schweiz ist zwar kein EU-Mitgliedstaat, doch verhandelt sie bekanntlich mit der EU über ein Paket von Abkommen, die eine Stabilisierung und Fortsetzung der bilateralen Zusammenarbeit gewährleisten sollen. Zum Verhandlungsgegenstand gehören diverse Änderungen des mit der EU geschlossenen Abkommens vom 21. Juni 1999 über den Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Strasse (Landverkehrsabkommen). Hier soll die Schweiz u.a. eine Kontrolle staatlicher Beihilfen einführen. Diese soll auf materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften beruhen, die gleichwertig wie die in der EU geltenden Vorschriften sind. Die Schweiz wird zudem ein Überwachungssystem mit einer unabhängigen Überwachungsbehörde einführen. Daraus ergibt sich, dass die Schweiz die neuen Gruppenfreistellungsverordnung und die Leitlinien wird übernehmen müssen, soweit diese den grenzüberschreitenden Eisenbahngüter‑ und Personenverkehr sowie den grenzüberschreitenden kombinierten Verkehr betreffen.

Keine «Carte Blanche»

In der Schweiz werden die Finanzhilfen und Abgeltungen des Bundes für den Schienenverkehr und den kombinierten Verkehr derzeit im Zusammenhang mit der Totalrevision des Bundesgesetzes über den Gütertransport durch Bahn- und Schifffahrtsunternehmen (Gütertransportgesetz) diskutiert. Wenn man die dort vorgesehenen Bestimmungen mit dem neuen EU-Regelwerk vergleicht, ergibt sich ein durchzogenes Bild.

Ein nicht unbeträchtlicher Teil der nach Schweizer Recht zulässigen Finanzhilfen erscheint auf den ersten Blick mit den neuen EU-Vorgaben insofern vereinbar, als das Schweizer und das EU-Recht ähnliche Bereiche und Tätigkeiten als förderfähig anerkennen. So stimmen Schweizer und EU-Recht grundsätzlich überein, dass die öffentliche Hand in begründeten Fällen bei der Beschaffung von Rollmaterial, dem Bau, der Erweiterung und der Erneuerung von Verlade- und Umladeanlagen einschliesslich Anschlussgleisen, sowie bei der Einführung von technischen Neuerungen einen Zustupf geben darf. Dies könnte etwa für die grundsätzliche Zulässigkeit einer staatlichen Förderung der koordinierten Migration zur digitalen automatischen Kupplung im Schienen-Güterverkehr sprechen, die derzeit in der Schweiz diskutiert wird. Der Staat darf auch Anreize zur Förderung der Interoperabilität zwischen nationalen Schienenverkehrssystemen setzen.

Gleichzeitig ist unübersehbar, dass das EU-Recht die beihilfegewährenden Behörden in ein deutlich engeres Korsett schnürt, was die Entscheidung über die Erforderlichkeit einer staatlichen Förderung, die Bestimmung der anrechenbaren Kosten, die angemessene Dosierung einer Förderung im Einzelfall, die Zulässigkeit von Pauschalbeträgen sowie die Einhaltung von zusätzlichen Bedingungen, Transparenzpflichten und verfahrensrechtlichen Verpflichtungen anbelangt.

Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene

Soweit das Schweizer Recht finanzielle Anreize zur Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene vorsieht, könnte sich dies mit der von der Europäischen Kommission vertretenen Auffassung decken, wonach die öffentliche Hand Finanzhilfen zur Reduzierung von externen Verkehrskosten gewähren darf. In ihren neuen Leitlinien legt die Kommission grossen Wert darauf, dass nur Finanzhilfen gewährt werden, die einen effektiven Anreizeffekt zur Verkehrsverlagerung bewirken. Eine Förderung des Eisenbahngüter- und des kombinierten Verkehrs sei nur gerechtfertigt, wenn der Gütertransport auf der Strasse wettbewerbsfähig sei. Gemessen an diesen Kriterien ist fraglich, ob die Schweiz ihre grosszügige Finanzierung des Schienengüter- und des kombinierten Verkehrs in Zukunft im gleichen Ausmass wird fortsetzen können.

Wichtig ist, dass die Höhe der Finanzhilfe von der Anzahl der geleisteten Transportdienstleistungen abhängen soll. Nach Auffassung der Kommission machen Pauschalbeträge keinen Sinn, weil sie keinen Anreiz zur tatsächlichen Erbringung der Dienstleistungen setzen.

Unzulässiger Schuldenabbau bei der SBB?

Der Schweizer National- und der Ständerat beraten bekanntlich derzeit über eine Vorlage zur nachhaltigen Finanzierung der SBB. Diese bezweckt, die Verschuldung der SBB zu reduzieren und gleichzeitig deren Investitionsfähigkeit zu stärken. Die Frage stellt sich, ob eine solche Vorlage noch zulässig sein wird, wenn die Schweiz das Recht der EU im Bereich der staatlichen Beihilfen übernehmen wird.

Die von der Europäischen Kommission in die öffentliche Konsultation gegebenen Leitlinien wecken diesbezüglich Zweifel. Eine staatliche Unterstützung für den Abbau der Schuldenlast wird jedenfalls schwieriger. Tatsächlich wird in den Leitlinien klargestellt, dass die besonderen Umstände, die in der Vergangenheit eine wohlwollendere Beurteilung von staatlichen Beihilfen zum
Abbau der historischen Verschuldung von Eisenbahnunternehmen rechtfertigten, nach Auffassung der Kommission nicht mehr gegeben seien. Dies gelte auch für staatliche Beihilfen für die Umstrukturierung der Güterverkehrssparten der Eisenbahnunternehmen. Die Kommission macht ferner deutlich, dass sämtliche unbegrenzten staatlichen Garantien für Eisenbahnunternehmen, die eventuell in der Vergangenheit bestanden, inzwischen hätten abgeschafft werden sollen.

Frist zur Stellungnahme

Interessierte Bürger, Organisationen und öffentliche Behörden können bis 20. September 2024 zu den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Neuregelungen schriftlich Stellung nehmen. Weitere Informationen über die Konsultation können über diesen Link heruntergeladen werden.