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Stromabkommen Schweiz-EU und Energiecharta

Spanien muss ein Urteil eines Schiedsgerichts ignorieren, in dem der EU-Mitgliedstaat wegen eines Verstosses gegen den Vertrag über die Energiecharta zu Schadensersatz verurteilt wurde. Dies hat die Europäische Kommission in einem vor Kurzem bekannt gegebenen Beschluss angeordnet. Die Kommission ist der Auffassung, dass der Schiedsspruch mit den EU-Vorschriften über staatliche Beihilfen unvereinbar sei. Der Beschluss der Kommission ist auch aus einer schweizerischen Sicht von Interesse, obwohl die Schweiz nicht Mitglied der EU ist.

Der Sachverhalt betraf eine, vom Jahr 2007 datierende, spanische Regelung zur staatlichen Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen. Zwei in der EU registrierte Firmen, Antin Infrastructure Services Luxembourg S.à.r.l. and Antin Energia Termosolar B.V. (Antin), zogen anfänglich Nutzen aus der erwähnten spanischen Regelung. Sie investierten mit Hilfe der staatlichen Förderung im spanischen Energiesektor. Als dann jedoch Spanien die Regelung im Jahr 2013 abänderte und die Förderung reduzierte, fühlten sie sich benachteiligt. Sie verklagten Spanien vor einem Schiedsgericht auf Schadensersatz. Diesen Anspruch begründeten sie mit den Regeln über den Investitionsschutz nach dem Vertrag über die Energiecharta. Hierbei handelt es sich um einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag, der unter anderem den Investitionsschutz im Energiesektor regelt. Das Schiedsgericht gab den Klägern Recht und verurteilte Spanien zur Zahlung von € 101 Mio. zuzüglich Zinsen.

Spanien hatte nachvollziehbar kein Interesse, die Zahlung zu leisten. Der EU-Mitgliedstaat schaltete die Europäischen Kommission ein, indem er den Vorfall nach den Vorschriften der EU über staatliche Beihilfen notifizierte. Die Kommission war gerne bereit, der spanischen Regierung zu Hilfe zu eilen. Sie befand, dass der Schiedsspruch mit EU-Beihilferecht unvereinbar sei. Er führe zu einer unzulässigen Begünstigung der beiden Firmen. Es sei Spanien folglich untersagt, dem Schiedsspruch Folge zu leisten. Die spanische Regierung und die spanischen Gerichte müssten die erforderlichen Massnahmen ergreifen, damit der Schiedsspruch nicht vollzogen werde. Es sei zudem sicherzustellen, dass keine Anerkennung, Vollstreckung oder Anwendung des Schiedsspruches in einem Nicht-EU-Staat erfolgen könne.

Konflikt zwischen EU-Rechtsordnung und EnergieCharta

Dass es EU-Beihilferecht widersprechen kann, wenn ein Schiedsgericht die öffentliche Hand gestützt auf den Vertrag über die Energiecharta zu Schadensersatz verurteilt, ist keine neue Erkenntnis. Die Kommission und der EuGH sind der Auffassung, dass der im Energiechartavertrag vorgesehenen Schiedsgerichtsmechanismus geeignet sei, die Autonomie und Integrität der EU-Rechtsordnung zu gefährden. Er könne nicht auf Streitigkeiten Anwendung finden, die zwischen einem EU-Mitgliedstaat und einem Investor aus einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgetragen werden. Dies stellte der EuGH in einem Urteil in der Rechtssache Komstroy vom 2. September 2021 klar. 

Die EU und ihre Schwesterorganisation EURATOM, ebenso wie Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten, kündigten inzwischen den Vertrag über die Energiecharta. Begründet wurde dies damit, dass der Vertrag den Klimaschutzzielen der EU und dem Pariser Übereinkommen widerspreche. 

Welche Schlussfolgerungen für die Schweiz?

Die Frage ist, welche Folgen sich für die Schweiz ergeben könnten. Die Schweiz ist zwar nicht Mitglied der EU, doch will sie mit dieser ein Abkommen im Stromsektor abschliessen. Das Abkommen sieht u.a. eine Übernahme des EU-Beihilferechts durch die Schweiz vor. Dies könnte bedeuten, dass die Schweiz die Praxis der EU-Institutionen bezüglich der beihilferechtlichen Qualifizierung von Schiedssprüchen nach dem Vertrag über die Energiecharta übernehmen müsste, es sei denn die Schweiz hat eine Ausnahme ausgehandelt.

Die Schweiz ist Vertragspartei des Vertrags über die Energiecharta und will anders als die EU am Vertrag festhalten. Gemeinsam mit den übrigen verbleibenden Vertragsparteien setzt sie sich für dessen Modernisierung ein. Der Bundesrat will einen diesbezüglichen Vorschlag im Frühling in die Vernehmlassung geben. Man kann gespannt sein, ob der Bundesrat dannzumal das komplizierte Verhältnis zwischen dem Vertrag über die Energiecharta und dem geplanten Stromabkommen thematisieren wird.